Titel

Lorlis Weg in ein gutes Hundeleben

Dass sich Marlies Esser auf einem Bauernhof um Schäferhündin Lorli kümmerte, erwies sich für die Hündin als Segen. So bekam sie nach zwei schweren Unglücken noch ein liebevolles Zuhause, und schaffte den Sprung von der bäuerlichen zur gutbürgerlichen Existenz.

Lorli war eine braun-schwarze Deutsche Schäferhündin aus guter Zucht. Ich lernte sie auf einem Bauernhof kennen, als sie gerade einen Wurf Welpen hatte, den ich dort aufzog und vermittelte, damit die kleinen Hunde in „gute Hände“ kamen und nicht an der Kette oder im Zwinger landeten. Lorli war „die Mutter meiner Kinder“, und etwa vier Jahre alt.

Sie war eine passionierte Wilderin gewesen, und durch den Warnschuss eines Unbekannten hatte das linke Ohr eine Fehlstellung. Auf jeden Fall war sie danach klug genug, das Wildern zu lassen. Der Bauernhof lag am Eingang der Fränkischen Schweiz in einem kleinen beschaulichen Ort, in dem noch jeder jeden kennt, herrlich gelegen auf einer Anhöhe. Ihre Zwingertür war immer offen, denn ihr Meister, der Bauer, sperrte seine Tiere nicht gerne ein. Auch die Kühe hatten eine Tür, die nach hinten in die Wiesen ging und tagsüber offen stand. Lorli fühlte sich nun für ihren Hof verantwortlich, und streunte nicht mehr herum.

An Sonntagen holte ich Lorli des Öfteren zu uns, um sie zu baden. Sie litt im Sommer unter einer Allergie der Haut. Für unsere drei Hunde hatten wir im Keller eine Hundedusche einbauen lassen. Wenn Lorli da war, wurden sie weggesperrt. Nach dem Baden setzte ich mich mit Lorli zum Trocknen auf die Treppe unserer Terrasse. Sie hatte eine solch beruhigende Ausstrahlung, wenn sie bei mir lag, wie ich es noch bei keinem Hund erlebt habe. Sie bekam dann noch eine gute Hundemalzeit, ehe ich sie wieder nach Hause brachte. Auf dem Heimweg, es waren sieben Kilometer und etwa zehn bis fünfzehn Minuten Fahrt, weinte sie dann ungeduldig leise vor sich hin. Es war, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, fort gewesen zu sein. Auf dem Hof angekommen, sprang sie eilig aus dem Auto. Niemand da! Sie war immer wieder grenzenlos enttäuscht, aber an Sonntagen war es auf dem Hof wie ausgestorben.

•• Lorlis schwerer Unfall ••

An einem Nachmittag läutete das Telefon, und der Bauer bat mich, schnell zu kommen, denn Lorli wäre verunglückt. So schnell es ging fuhr ich hin und fand Lorlis Hundehaus verschlossen. Sie lag auf dem Boden und schaute mich an, als hätte sie auf mich gewartet. Dann erst sah ich das viele Blut und dass das Fell auf ihrer Schnauze in der Mitte durchtrennt war. Ich beförderte den Hund in das ihr vertraute Auto, als sich der Bauer kurz blicken ließ und erklärte, dass Lorli, während seiner Arbeit in ein Förderband gebissen hätte. Ich fuhr mit Blaulicht zum nächsten Tierarzt, und konnte mir nicht vorstellen, dass sie von sich aus in ein laufendes Band beißen würde. Könnte es sein, dass ihr Herr Lorli spielerisch aufgefordert hatte, da hineinzu beißen? Er war mit ihr auf dem Hundeplatz gewesen, und testete gerne nur einmal zum Spaß, wie gehorsam sein Hund noch war. Aber er konnte kein Blut sehen und war froh, mich erreicht zu haben. Ich werde die Blutspur nie vergessen, die der Hund hinterließ, als er in der Tierarztpraxis von der Haustür in das Behandlungszimmer lief. Zum Glück hatte der Tierarzt gerade Sprechstunde, und jeder gab mir mit dem blutenden Hund den Vortritt. Während er Lorlis Haut auf der Schnauze unter Narkose wieder zusammennähte, wischte ich das Blut weg. Nun hatte sie über eine Woche Zwingerarrest und durch Antibiotika und füttern aus meiner Hand heilte die Wunde am Fang ab.

Von da an hielt ich Ausschau nach einem passenden Platz für Lorli, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie auf dem Bauernhof alt werden, alt sein konnte, wenn sie nicht mehr flott auf den Beinen war und ihm keine Welpen mehr lieferte. Was würde sein, wenn sich herausstellte, dass sie HD, die gefürchtete Hüftgelenksdysplasie hätte? Seine letzte Schäferhündin hatte er deshalb weggegeben, dabei konnte sie gut laufen, aber die Diagnose reichte, er wollte einen gesunden Hund haben. Treue war nicht seine Stärke. Diese Charaktereigenschaft überließ er lieber seinen Hunden.

Durch den Tierschutzverein war ich mit einer Frau, namens Barbara befreundet. Sie machte oft Tierschutzkontrollen, wenn Missstände gemeldet wurden. Sie wohnte in einem Haus auf einer Anhöhe bei Forchheim, das von einem großen Garten umgeben war. Hier konnte ich mir Lorli gut vorstellen. Barbara hatte immer Hunde gehabt, aber jetzt lebten nur noch drei Katzen bei ihr. Ich sprach mit meiner Freundin, und sie war nicht abgeneigt die Hündin zu übernehmen.

•• Das nächste Unglück ••

Kurz darauf fuhren wir, mein Mann und ich, in den Urlaub. Als ich wieder zu Hause war, und beruflich alles erledigt hatte, was sich so angesammelt hatte, zog es mich zum Bauernhof, um nach Lorli zu sehen. Als ich auf dem Bauernhof ankam und die Hündin mir entgegenhumpelte, sah ich mit Schrecken, dass ihr rechtes Hinterbein einen großen, dicken Verband hatte, der ihr bis über das Knie reichte. Der Bauer berichtete mir dann, dass Lorli mit auf dem großen Traktor gefahren, dann herunter gesprungen sei, und sich verletzt hätte, ein Kapselabriss. Ich wusste, er hatte einen sehr großen Traktor, und mir schauderte bei dem Gedanken, dass der Hund aus dieser Höhe gesprungen war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Lorli das von sich aus tun würde. Ich hatte sie überhaupt noch nie auf dem Traktor gesehen, konnte mir aber denken, dass es dem Bauer Spaß gemacht hatte, den Hund auf dem Traktor mitzunehmen. Genauso konnte er neugierig gewesen sein, ob sie es noch schaffte, aus der Höhe zu springen.

Als ich Barbara gefragt hatte, ob sie Lorli nehmen würde, dachte ich, dass es vielleicht im Laufe des kommenden Jahres so weit sein könnte, aber nun drängte die Zeit. Der Hund musste gleich weg von dem Hof. Barbara sagte zu. Am nächsten Tag fuhr ich zu dem Bauern und bat ihn, mir Lorli zu überlassen. Er trennte sich leicht von der Hündin unter der Bedingung, dass ich alle Tierarztkosten, die nun angefallen waren, übernehmen würde. Ich wollte nicht lange handeln und erklärte mich mit allem einverstanden. Ich nahm Lorli gleich mit, und brachte sie in ihr neues Zuhause. Mir war klar, dass die Umgewöhnung an das neue Umfeld für sie schwer sein würde, aber es blieb keine andere Wahl. Obwohl sie auf ihrem Hof keine Katze geduldet hatte, zeigten sich keine Probleme mit den drei Katzen, die zum Haus gehörten. Sie wusste den Burgfrieden zu wahren. Barbara war an den Umgang mit großen Hunden gewöhnt, und so ließ ich Lorli dort in der Hoffnung, dass sie sich eingewöhnen würde.

•• Lorli läuft fort ••

Am nächsten Morgen, es war ein Samstag, erfuhr ich von Barbara, dass sie mit Lorli eine ruhige Nacht gehabt hatte. Am späten Vormittag schellte das Telefon erneut und Barbara rief aufgeregt, dass der Hund weggelaufen wäre. Sie war mit Lorli zum Briefkasten gegangen, als diese bemerkte, dass das Tor nur angelehnt war. Mit der Schnauze hätte sie den Türspalt geöffnet, und weg war sie. Ich bin mir sicher, dass sie nur auf eine Gelegenheit gewartet hatte, um fortzulaufen. Ich sprang gleich in mein Auto und fuhr so schnell es ging, um den Hund zu suchen. ich fragte mich, welchen Weg der Hund genommen haben könnte. Mir war klar, Lorli wollte heim, auf ihren Bauernhof. Sie musste dazu die Straße steil bergab laufen und unten eine Hauptverkehrsstraße überqueren und das alles mit dem verletzten Bein. Zum Glück waren die Straßen wie leergefegt, denn an dem Tag wurde im Fernsehen die Trauerfeier für Lady Diana übertragen. Ich überquerte den Fluss, die Wiesent, und fuhr die Landstraße in Richtung Lorlis Heimatortes, und da sah ich auch schon den Hund von weitem, unterhalb der Straße laufen, quer durch die Wiesen. Der große, weiße Verband an ihrem Hinterlauf leuchtete weithin. An einer Tankstelle sprach ich in meiner Not einfach einen Motorradfahrer an und fragte ihn, ob er mir behilflich sein könnte und den Hund verfolgen würde, der durch den Wiesengrund lief. Er fragte nicht lange und nahm mit mir, auf dem Rücksitz seines Motorrads, Lorlis Verfolgung auf. Durch den Verband konnten wir sie leicht orten. Wir fingen sie drei Kilometer von ihrem Heimatort entfernt ab. Von Barbaras Haus bis zu Lorlis Bauernhof waren es acht Kilometer. Wie zielstrebig war sie gelaufen mit dem verletzten Bein? Woher wusste sie den Weg? Hatte sie einen eingebauten Kompass, der sie geleitet hatte? Heimweh war der Antrieb gewesen. Ich nahm Lorli nun an die mitgebrachte Leine und zu Fuß ging es erst einmal zur Straße hinauf.


Mein Mann, der die Strecke nach mir abgesucht hatte, fand uns und brachte uns gleich zum Tierarzt, der ganz fassungslos war, als er Lorli sah. Hoffentlich war das Bein mit der Verletzung in einem besseren Zustand als der Verband, der nur noch in Fetzen herunterhing. Ich erfuhr bei der Gelegenheit, dass der Bauer sie gar nicht zum Arzt gebracht hatte, nach dem Sturz vom Traktor, sondern der Tierarzt anlässlich eines Besuchs auf dem Hof, wegen einer Kuh, den verletzten Hund gefunden und mitgenommen hatte. Nachdem der Hund geröntgt und neu verbunden worden war, ging es wieder zurück in ihr neues Zuhause zu Barbara, die uns sorgenvoll erwartete. Einige Tage nach ihrem anstrengenden Marsch wurde Lorli ernsthaft krank. Eine verschleppte Gebärmutterentzündung ergab die Untersuchung beim Tierarzt. Nun brauchte sie zwar Pflege, aber die Erkrankung hatte auch ihr Gutes, denn sie schweißte die Hündin mit ihrem Frauchen zusammen. Das hätte Lorli auf dem Bauernhof nicht passieren dürfen, denn ich bezweifle, dass der Bauer das bemerkt und einen Tierarzt bemüht hätte. Allein die Kosten hätten ihn davon abgehalten. Außerdem wäre Lorli für ihn durch die Kastration, ein wertloser Hund geworden, da sie keinen Nachwuchs mehr bringen konnte.

Lorli ist nie wieder fortgelaufen. Sie fügte sich wunderbar ein und fuhr auch gerne mit in den Urlaub. Barbara meinte, dass sie noch nie einen so guten Hund gehabt hatte. Ich übernahm zunächst die Zahlung aller Rechnungen, denn ich war froh, und dankbar, dass Lorli so ein gutes Zuhause gefunden hatte. Die Tierarztkosten hatten sich summiert. Ich machte dann ein Rundschreiben an Lorlis Welpenkäufer, mit der Bitte um eine Spende für die Mutter ihres Hundes. Die Spenden gingen über das Tierheim, wodurch jeder automatisch eine Spendenquittung bekam. Sie beteiligten sich alle, ohne Ausnahme an den Kosten, schließlich hatte Lorli ihren Nachkommen die guten Eigenschaften vererbt, und warum sollten Kinder nicht mit für ihre Mutter aufkommen?

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