Titel

"Shari" - wegen Scheidung abgegeben

Es vergeht kaum ein Samstag, an dem ich beim Durchlesen der Zeitung unter der Rubrik ,,Tiermarkt-Hunde“ nicht auf den Satz ,,Umständehalber abzugeben…“ stoße. Dann denke ich an ,,Shari“, deren Vermittlung mir deutlich zeigte welchen Schmerz ein Hund bei einem Besitzerwechsel erfahren kann, besonders, wenn er an seinen bisherigen Besitzer eine gute Bindung hatte.

,,Ich muß meine Schäferhündin abgeben, können Sie mir helfen?“ Die Stimme der Frau am Telefon verriet mir, wie schwer ihr das fiel. Ich erfuhr, daß sie in Scheidung lebte und nun wieder berufstätig sei, und der Hund acht Stunden am Tag nicht allein sein könne. Sie mußte sich von der Hündin trennen und wollte ihr unbedingt einen Zwischenaufenthalt im Tierheim ersparen. Mir fiel eine Frau ein, die zur gleichen Zeit einen Hund suchte, da sie ihren Collie-Rüden verloren hatte.

Nach der Beschreibung von ,,Shari“, so hieß die fünfjährige Hündin, konnte ich mir gut vorstellen, daß sie der Frau nicht nur über ihren Verlust hinweg helfen wüde, sondern daß beide gut zueinander passen könnten, einer neuen Freundschaft also nichts im Wege stand. Es war auf jeden Fall einen Versuch wert, aber zunächst mußte ich einen persönlichen Eindruck von der Hündin haben.

Zwei Tage später war es dann so weit, ich lernte ,,Shari“ auf einem gemeinsamen Spaziergang kennen. Die Hündin war viel zu kräftig – man sah ihr an, daß sie in letzter Zeit zu kurz gekommen war. Sie wirkte behäbig, beinahe temperamentlos und still. Aber ihr Kopf verriet Adel und die sprechenden Augen Treue. Ich empfand auf Anhieb viel Sympathie für diese kluge Hündin. Es war deutlich zu erkennen, daß sie eine schwere Zeit durchgemacht hatte.

Wir meldeten uns bei ,,Sharis“ Interessentin an, und obwohl diese noch um ihren alten Hund trauerte, hatte sie doch ihr Herz für einen neuen Begleiter geöffnet und erwartete uns schon voller Ungeduld am Gartentor. Es war ein kleiner Ort, und ihr Haus war wunderschön am Waldrand gelegen, aber da ,,Shari“ nicht wilderte, würde die Waldlage kein Problem sein. Wir gingen zusammen ins Haus, und ,,Sharis“ bisheriges Frauchen war tapfer und verhielt sich still. Die Hündin inspizierte sofort den Raum und legte sich kurz darauf vor der Terrassentür in die Sonne. Man hatte glauben können, sie sei hier schon lange zu Hause, aber der Schein trog.

Als wir alles Wichtige besprochen hatten und zu dem Schluß kamen, daß ,,Shari“ gleich bleiben sollte, erhob sich ,,Sharis“ bisherige Besitzerin. Wir hatten der Hündin zuliebe auf jegliche Verabschiedung verzichtet, aber es reichte, daß ihr Frauchen die Tasche ergriff – ein untrügliches Zeichen des Aufbruchs. Sie rannte zur Tür, jetzt kam Leben in die Hündin. So ging es also nicht.

Leider erlaubten die Umstände nicht, ,,Shari“ mit ein paar Besuchen die Eingewöhnung in die neue Umgebung zu erleichtern. Wir mußten sie also ablenken, und die Besitzerin sollte sich bei einem Spaziergang davonschleichen. So gingen wir drei mit ,,Shari“ ,,spazieren“ und bemühten uns dabei, so zu tun, als wäre nichts Außergewöhnliches.

,,Shari“, durch den ersten ,,Fluchtversuch“ ihres geliebten Frauchens alarmiert, hatte begriffen, daß erneut eine Trennung bevorstand: hatte sie doch eine ähnliche Situation kurz zuvor erlebt, als sie in Pflege gegeben wurde. Ihr Frauchen, die sich nur schwer von ,,Shari“ trennen konnte, begleitete uns eine Weile und verschwand dann ganz plötzlich wie verabredet in eine Einfahrt. Als ,,Shari“ ihr Verschwinden bemerkte, war sie nicht mehr dazu zu bewegen weiterzugehen. Ihr neues Frauchen und ich versuchten vergebens, sie zu beruhigen, aber es blieb uns nichts anderes übrig als zurückzugehen.

Von Gehen konnte eigentlich keine Rede sein, denn ,,Shari“ war kaum noch zu halten. Jetzt machte sich auch ihre ganze Kraft bemerkbar, sie war in Panik und wollte schnellstens zurück. ,,Shari“ weigerte sich, mit uns ins Haus zu gehen, roch sie doch die Spur, die weiter die Straße hinunter führte. Wir mußten alle Kräfte aufbieten, um sie ins Haus zu bekommen und schlossen erleichtert die Tür.

Da sah ich, daß ,,Shari“ auf die offene Terrassentür zustürzte. Ich konnte ihr noch rechtzeitig den Weg abschneiden und die Tür zuwerfen. ,,Shari“ warf sich verzweifelt dagegen und trommelte mit den Pfoten gegen die Scheibe, sie war wie von Sinnen. Ich versuchte, sie am Halsband zu fassen, aber sie riß sich los, raste zur Haustür und sprang auf die Klinke. – Ich erwischte sie gerade noch am Gartentor. Erneut brachten wir sie ins Haus, die Haustür wurde abgeschlossen und ,,Shari“ sicherheitshalber festgebunden. Mir zitterten die Knie, und ,,Sharis“ neues Frauen fragte sich bange: Würde sie sich jemals eingewöhnen? ,,Sharis“ verzweifeltes Weinen griff uns ans Herz, hatten wir doch keine Möglichkeit, ihr zu helfen.

Einige Zeit würde es dauern, bis ein Minimum an Vertrautheit zwischen ,,Shari“ und ihrer neuen Besitzerin hergestellt würde. Aber jetzt war ich die letzte Brücke zu ihrem entschwundenen Frauchen, und auch mein Gehen versetzte sie in Panik. Ich konnte nichts mehr weiter tun, als die neue Besitzerin zu bitten, zwei, drei Tage Geduld zu haben und gut auf ,,Shari“ aufzupassen.

Als kurz darauf ihr Sohn an der Haustür schellte, ging sie vorsichtshalber durch die Terrassentür. ,,Shari“, ihr dicht auf den Fersen, sprang auf den Griff der Tür – und hatte alle ausgeschlossen. Glücklicherweise war das Badezimmerfenster noch offen, und so konnte man auf diesem ungewöhnlichen Weg wieder ins Haus.

,,Shari“ weinte noch zwei Stunden. Dann folgte sie auf Schritt und Tritt ihrer neuen Besitzerin. Von Anhänglichkeit oder ,,es geschafft zu haben“ konnte natürlich noch keine Rede sein, vielmehr war es Ausdruck ihrer Verlustangst, die übergroß geworden war. Nach zwei Tagen war auch der ,,Belagerungszustand“ vorbei – ,,Shari“ hatte kapituliert. Sie wird noch längere Zeit Verlustangst haben, aber ihr neues Frauchen ist voller Liebe zu ihr, und so wird sie ganz langsam den Trennungsschmerz verwinden, aber nicht vergessen.

„Treue Du hast vier Beine.“

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