Ein Zwingerdasein
Berry, ein Collie-Schäferhund-Mischling, der ohne Auslauf sein Dasein bei einem herzlosen Bauern in Franken fristete, musste lange auf seine zweite Chance warten, denn laut Gesetz „ stimmte“ alles an seiner armseligen Haltung. Lesen Sie, warum der hübsche Rüde doch noch über das Tierheim endlich sein Glück fand.
Als der baufällige Schuppen, der in der Ecke des Bauernhofes stand, abgerissen wurde, hatte ich die Hoffnung, dass der Bauer sich nicht wieder einen Hund holen würde. Eine Schäferhündin, namens Cora hatte vor diesem Hund drei Jahre lang in einem fensterlosen Verschlag ein erbärmliches Leben fristen müssen, bis ich durch einen anonymen Anruf im Tierheim der Meldung nachgehen konnte, und es mir nach vielen Mühen gelang, dem Bauern den Hund abzuhandeln. Der schlechte gesundheitliche Zustand der Hündin war mir damals zu Hilfe gekommen, denn Geld für den Tierarzt hatte man nicht ausgeben wollen.
Es dauerte nicht lange, da erhielt ich durch Nachbarn die Nachricht dass wieder ein Hund auf dem Bauernhof war, obwohl es jetzt gar keine Unterkunft mehr für ihn gab, denn ins Haus durfte kein Hund. Der junge Rüde, erfuhr ich, war im Kartoffelkeller angebunden. Ich wusste, dass es hier keine gütliche Lösung mehr geben konnte. Jetzt musste ich das Veterinäramt einschalten. Der Bauer war ihnen kein Unbekannter und der Amtstierarzt verabredete sich schon am nächsten Tag mit mir auf dem Hof. Er ließ sich den Hund zeigen und machte kurzen Prozess: “In drei Tagen steht der Zwinger, oder der Hund kommt weg.“ Er gab dem Bauern noch die Maße für den Zwinger und ließ sich auf kein weiteres Wort mit ihm ein.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass in der kurzen Zeit der Zwinger stehen würde. Ich hatte natürlich die Hoffnung gehabt, so diesen jungen Hund herauszubekommen, aber vergeblich. Pünktlich zum Ultimatum stand der Zwinger, mit einer viel zu großen Hütte in der Mitte. Der Hund saß nun hinter Gittern, wie im Käfig, der wohl für die nächsten Jahre seine Welt sein sollte.
•• Berry – Im Zwinger ••
Ich kam zwei Mal wöchentlich mit dem Auto beim Einkaufen vorbei. Alleine das Wissen um das Eingesperrt sein des jungen Hundes belastete mich sehr. Der Zwinger grenzte mit einer Seite hinter dem Zaun direkt an den Bürgersteig, so dass er auch von Passanten, die ihren Hund spazieren führten, gesehen wurde. Ihnen war der Anblick genauso unerträglich, und einige boten dem Bauern an, Berry, so hieß der Hund, mit spazieren zu nehmen. Keine Chance. Es hatte ohnehin niemand ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu dem Bauern. Berry war ein reizender Junghund von etwa fünf Monaten, mit orange-weißem Haarkleid. Es war ein Collie-Schäferhund-Mischling, und seine kräftigen Vorderläufe ließen vermuten, dass er ein großer Hund werden würde.
Zur gleichen Zeit hatten mein Mann und ich eine zierliche Collie-Mischlings-Hündin Cilly im gleichen Alter. Wenn ich sah, wie bewegungsfreudig sie war, wie sie ihr Leben genoss, musste ich unwillkürlich an ihren armen Artgenossen im Zwinger denken. Wie ungerecht doch das Leben war. Anfangs hatte ich noch die Hoffnung, dass die Bäuerin doch ein Herz hätte und den Hund mit ins Haus nehmen würde. Oder dass der erwachsene Sohn, der auch noch Zuhause lebte, Freude hatte mit so einem temperamentvollen Hund, wie Berry umzugehen. Sah denn niemand, dass der Hund unter der Isolation und dem Bewegungsmangel litt, so dass er in seiner Not dauernd um seine Hütte, die ihm den ganzen Platz im Zwinger nahm, herumlief?
Berry war inzwischen fast ausgewachsen und ein bildschöner Hund geworden. Als ich einmal mit unserer Cilly vorbeikam, sprach ich den Bauern auf seinen Hund an. Auch wenn er auf mich aufgrund meiner damaligen Meldung an das Veterinäramt nicht gut zu sprechen war, schien er doch bemüht zu sein, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Außerdem war sein Besitzerstolz groß, auf den Hund und auf den Zwinger.
•• Tierschutz–Hundeverordnung ••
Nach der Tierschutz Hundeverordnung haben Zwingerhunde einen Anspruch auf Auslauf für eine gewisse Zeit außerhalb des Zwingers. Zu dem Bauernhof gehörte noch ein schmaler angrenzender Innenhof. Auf den berief sich der Bauer als Auslauf für den Hund, sozusagen als Alibi. Was war das für ein Auslauf, ohne interessante Gerüche, mit hohen Wänden versehen, und durch ein Metalltor gegen fremde Blicke abgeschottet. Was sollte Berry da auch ganz alleine?
Ich zerbrach mir den Kopf, wie man diesem Hund zu seinem Recht verhelfen konnte. Der Bauer machte kein Hehl daraus, dass er nicht mit Berry spazieren gehen würde. Er hätte den Hund auch gar nicht halten können, denn der Mann war auch noch von kleiner Statur. Berry war auch kein Wachhund. Er freute sich über jeden Menschen, den er sah. Vor Einbruch der Dunkelheit, ließ der Bauer den Hund aus dem Zwinger, und ließ ihn kurz in dem Innenhof laufen. Dann plötzlich war der Hund verschwunden, denn über Nacht kam der Arme in den Keller, vermutlich aus Angst vor Diebstahl.
Mir kam der Gedanke, dass Berry, dieser große, bildschöne Hund, für den Bauern ein Statussymbol sein könnte, so etwas wie ein Porsche. Er konnte zwar nicht mit ihm umgehen, aber er war sein Besitz, den man auch sehen sollte. Warum sonst hatte er für alle sichtbar, den Zwinger direkt an den Bürgersteig gesetzt? Um Ärger mit Nachbarn aus dem Weg zu gehen, hätte er ihn ja auch hinten, etwas verdeckt, aufstellen können.
So verging Jahr um Jahr, in denen ich einiges versuchte, ohne dass sich für Berry eine Änderung, eine Verbesserung ergab. Ich versuchte eine Unterschriftensammlung zu machen, die aber daran scheiterte, dass mancher den Ärger mit dem Bauern fürchtete, und ich bat auch noch einen mir bekannten Hundetrainer, sich bei dem Bauern als Interessent für Berry auszugeben. Mein Seelenfrieden und der Hund wären mir viel wert gewesen, aber der Bauer winkte nur ab. Ich bin mir fast sicher, dass er ahnte, dass ich dahinter steckte. Der mir vertraute Amtstierarzt war inzwischen in Rente gegangen, und seine Nachfolgerin gab mir zu verstehen, dass da nichts zu machen sei. Ein Mitarbeiter hatte nochmals eine Kontrolle bei dem Bauern gemacht, und meinte nur, die Maße des Zwingers stimmten.
Ich hatte gehofft, dass der arme Hund sich mit der Zeit mit seiner Lage abfinden würde, wie man es auch bei Kettenhunden oft sieht, die mit der Zeit resignieren, aber Berry lief weiter um seine Hütte herum, und manchmal blieb er stehen, weil er Passanten beobachtete, die sich allerdings mittlerweile an den Anblick des Hundes gewöhnt hatten. Nur ich konnte mich nicht damit abfinden.
•• Neue Hoffnung für Berry ••
Als am Hang hinter dem Bauernhof neue Häuser entstanden, und der schmale Hof, der angeblich Berrys Auslauf sein sollte, einem Verbindungsweg zum Opfer fiel, fasste ich erneut Hoffnung. Ich erfuhr dann vom Veterinäramt, dass ohne Beweise für den fehlenden Auslauf, nichts zu machen wäre. Es war Mitte März, und ich beschloss kurzerhand, diesen Beweis zu liefern. Ich nahm mir drei Tage Zeit und setzte mich in mein geparktes Auto auf der anderen Straßenseite, schräg gegenüber des Bauernhofes, Berry und seinen Zwinger fest im Blick. Zum Glück kannten der Bauer und seine Familie mein Auto nicht, und die getönten Scheiben, sowie unser großer Hund im Auto hinter mir, nahmen mir etwas von meinem unguten Gefühl. Ich dokumentierte mit der Kamera jede Stunde, immer mit Datum und Uhrzeit und machte mir Notizen über den Tagesablauf auf dem Hof.
Berry hüpfte, rannte, schlich den ganzen Tag über, bis gegen Abend die Zeit nahte, in der der Bauer den Hund aus dem Zwinger ließ. Es erschütterte mich zu sehen, wie der Hund vor Freude in Ekstase geriet, obwohl nichts Besonderes auf ihn wartete. Nur raus aus dem Zwinger, seinem Gefängnis. Danach stürmte er für einige Minuten im Innenhof herum, stürzte atemlos zu den Eckpfeilern des Gartenzauns, schaute auf die Straße, ohne etwas bewusst wahrzunehmen, und wieder zurück. Wie ein Spuk war es vorbei, und Berry fand sich in seinem Nachtquartier wieder. Dann kam die Bäuerin mit dem Besen und fegte den Zwinger. Niemand war mehr zu sehen, Feierabend! Einmal spaltete der Sohn Brennholz im Hof und schichtete das Holz vor dem Zwinger auf, ohne Notiz von dem Hund zu nehmen.
Während ich dort über Stunden und Tage im Auto saß, und beobachtete, ob Berry irgendeine Form von Bewegung außerhalb des Zwingers hatte, litt ich mit dem armen Hund. Die Märzsonne, die in den Zwinger schien, war schon stark, und die Zunge hing ihm weit zum Hals heraus. Ich fragte mich, ob er überhaupt genug Wasser hatte, denn niemand schaute nach ihm, und ich hatte gesehen, dass sein Napf klein war. Ich fühlte einen ohnmächtigen Zorn in mir aufsteigen, auf den Bauern und auf die Behörde, die doch dafür zuständig sein sollte, dass Tiere artgerecht gehalten werden. Wie stand es in der Hundeverordnung so schön? “Hunde sollten nicht stundenlang im Zwinger alleine gelassen werden.“ Das Wissen, dass das Schicksal von Berry viele Hunde teilten, und es auch einer Unzahl von ihnen noch viel schlechter ging, machte es nicht besser. Im Gegenteil.
So vergingen die drei Tage. Es war mir sehr unangenehm gewesen, die Bauern zu beschatten, aber ich hoffte, dass mein Bericht, Berry zu mehr Freiheit verhelfen würde. Ich war froh dass niemandem mein Auto aufgefallen war. Ich gab dem Veterinäramt meine Beweise, aus denen einwandfrei hervorging, dass Berry seinen Zwinger den ganzen Tag über nicht verließ. Ich bekam daraufhin lediglich die Nachricht, damit wäre keineswegs bewiesen, dass der Bauer mit dem Hund nicht nachts rausgehe.
•• Erneuter Kontakt mit dem Bauern ••
Da wurde mir klar, dass auch wenn in den Verordnungen etwas anderes steht, nichts zu machen war. Der Hund wurde nicht misshandelt, bekam Futter und Wasser, hatte eine Hütte, die Bäuerin fegte den Zwinger, der auch noch den vorgegebenen Maßen entsprach. Es war vielleicht sogar so, dass sein stetes Laufen um die Hütte herum, als Lebensfreude gedeutet wurde. Der Bauer hatte mir einmal unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er grundsätzlich dagegen sei, dass Hunde spazieren geführt werden, wegen der Kot-Hinterlassenschaften.
Berry war mittlerweile fast sieben Jahre alt. Noch immer lief er um seine Hütte herum. Es schien, als hätte sein Lauftraining ihn fit gehalten. Auch wenn Ich Berry nicht helfen konnte, brachte ich es einfach nicht mehr fertig, mich umzudrehen und zu sagen, da kann man nichts machen. So entschloss ich mich, mit dem Bauern erneut Kontakt aufzunehmen, und als Vorwand zu behaupten, ihm Knabbereien für seinen Hund mitzubringen. Ich musste mich dafür zwar sehr überwinden, aber es freute mich, dass der Bauer die Gabe Berry gab, und ihn sogar aus dem Zwinger, ließ, wobei ich hinter dem Gittertor stehenbleiben musste.
Nun kam ich in „regelmäßigen“ unregelmäßigen Abständen wie zufällig vorbei. Einmal brachte ich ihm einen größeren Edelstahlnapf für Berry mit, und war erleichtert, dass der Bauer ihn nahm. Ich nahm auch öfter unsere Cilly mit, die der Bauer eher geringschätzig wegen ihrer mangelnden Größe betrachtete. Immer nahm ich etwas Leckeres für Berry mit. Hund und Halter nahmen meine Knabbereien gerne entgegen. Berry durfte dann meist aus dem Zwinger und gebärdete sich wie toll. Meist lief er zu den Eckpfeilern des Zaunes, sprang hoch, schaute über den Zaun, oft zum Schrecken von Passanten. Es waren stereotype Abläufe, ein Abreagieren seiner Aufregung und Freude. Stets war das hohe Gittertor zwischen uns. Der Bauer und ich wechselten meist ein paar belanglose Worte. Ich bemühte mich die Kluft, die spürbar zwischen uns, wie so oft zwischen Städtern und Bauern klaffte, zu überwinden. Ich ging dann schnell zum Auto, um nicht mit ansehen zu müssen, wie er den Hund in den Zwinger schleppen musste.
•• Berry beginnt zu streunen ••
Eines Tages kam mein Mann vom Hundespaziergang zurück, und erzählte mir, dass er einem großen, streunenden Hund begegnet wäre. Als ich später zufällig aus dem Fenster schaute, traute ich meinen Augen nicht. Auf der anderen Straßenseite sah ich Berry vorbeilaufen. Was für ein Zufall! Der Bauer erwähnte zwar vor kurzem noch, dass Berry es seit einiger Zeit schaffe, sich durch das Tor zu zwängen, um streunen zu gehen. Die Entfernung von uns zu dem Bauernhof betrugen etwa vier Kilometer. Luftlinie war es weniger und Berry lief sicher querfeldein. Was hätte ich tun können. und wie hätte ich ihn in mein Auto verfrachten können? Hoffentlich fand er unversehrt nach Hause. Wie ich erfuhr, streunte Berry jetzt häufig. Da machte sich der Mangel an Bindung bemerkbar. Sicher spielten läufige Hündinnen auch eine Rolle.
Doch eines Tages im Frühling erhielt ich einen Anruf, dass Berry von der Polizei nachts aufgegriffen und in das hiesige Tierheim gebracht worden war. Es war noch unklar, ob er dem Besitzer zurückgegeben werden würde. Ich war sehr aufgeregt. Wie lange hatte ich gehofft, dass Berry vom Bauernhof fortkam, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie sein Leben weitergehen sollte. Ich hatte mich bemüht ihn herauszukaufen, als er noch jung war. Später war mein Bemühen mehr, ihm am Ort zu einem besseren Leben zu verhelfen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, wie Berry mit so einer starken Veränderung klarkommen würde. Außerdem wusste ich dass der Bauer den Hund nicht freiwillig hergeben würde. Es lagen Anzeigen wegen seiner schlechten Hundehaltung vor. Meine Berichte ergänzten das Ganze. Ein hinzugezogener Gutachter stellte einen ausgeprägten Zwingerkoller fest. Berrys Halter, der Bauer wurde benachrichtigt, dass er den Hund nicht zurückbekommen würde. Er fügte sich. Das andauernde Streunen machte ihm den Verlust sicher leichter. Die Würfel waren gefallen. Berry blieb.
So lange nicht klar war, dass Berry nicht wieder zurückgegeben würde, war ich nicht ins Tierheim gefahren. Erst jetzt, nach etwa einer Woche, fuhr ich ins Tierheim um nach Berry zu sehen. Ich konnte den Hund, den ich fast zehn Jahre kannte, das erste Mal streicheln. Jetzt machte sich bezahlt, dass ich so oft vorbeigefahren war. Als mich Berry im Tierheim sah, freute er sich sehr. In all dem Fremden, Neuen gab ihm mein vertrautes Erscheinen Halt.
•• Berry ist im Tierheim ••
Es war nicht vorstellbar, dass ein zehnjähriger Hund, dessen begrenzte Welt aus Zwinger und Hof bestand, der nichts erlebt hatte, sich in ein normales Zusammenleben mit Menschen einfügen würde. Es gibt Dinge die kann man einem Hund nicht beibringen. Die muss der Hund bei seinen Menschen durch das Miterleben des Alltags lernen. Voraussetzung dafür ist, dass der Hund gut sozialisiert ist. Niemand würde vermuten, dass Berry diese Voraussetzung mitbrachte. Aber sein Lehrmeiste war das Alltagsgeschehen an der belebten Straße, an dem er vom Zwinger aus teilgenommen hatte. Berry war ein exzellenter Beobachteter, und kannte dadurch Passanten, Radfahrer, Autos und vieles mehr. Er kannte Geräusche, wie Verkehrslärm und Kindergeschrei und auch Gerüche waren ihm vertraut. Wie viel anders wäre es gewesen, wenn sein Zwinger in einer reizarmen Ecke gestanden hätte.
Ich fuhr jeden Tag ins Tierheim, und bald konnte ich Berry bürsten, vermutlich das erste Mal in seinem Leben. Dabei fiel mir auf, dass er sehr mager war, sicher eine Folge seines unermüdlichen Laufens um seine Hütte herum. Er war noch immer ein sehr schöner Hund. Berry lernte schnell. Er konnte sich jeden Tag in dem großen Auslauf des Tierheims nach Herzenslust bewegen. Auch bei den Mitarbeitern des Tierheims war der freundliche Hund beliebt. Statt eines Zwingers bekam Berry ein kleines Freigehege. Er gewöhnte sich an das Laufen an der Leine. Die vielbefahrene Straße, vom Tierheim aus, ehe man in den Wiesengrund gelangte, war für Berry ja kein Problem. An einem Nachmittag kam ein Nachbar ins Tierheim, um Berry zu besuchen. Er war täglich mit seinem Hund bei ihm am Zwinger vorbei gelaufen, jahrelang, und er war sehr gerührt, dass Berry ihn sofort erkannte und sich freute.
Das Mitfahren im Auto lernte Berry schnell, er hatte gute Nerven. Es dauerte nicht lange, da machte ich mit ihm die erste Spazierfahrt. Doch wie war das mit Hundebegegnungen? Den Hunden denen er an der Leine täglich auf dem Tierheimgelände, oder auch beim Spaziergang begegnete, zeigte er sich absolut gleichgültig, was mich sehr erstaunte. Natürlich, er kannte ja Hunde zur Genüge, vom Ansehen her. Dann brachte ich eines Tages unsere Cilly mit, die süße Collie- Mischlings-Hündin, die er schon durchs Gittertor beschnüffeln durfte. Wir ließen Berry und Cilly zusammen in den großen Auslauf, ohne Leine. Berry war begeistert. Ganz anders verlief die Begegnung mit unserem Aaron, einem großen, sehr verträglichen souveränen Rüden im gleichen Alter. Berry pöbelte ihn an. Als Aaron ihn zurechtwies, wurde Berry schnell unfreundlich. Man bemerkte seine große Unsicherheit. Von dem Moment an, war es bei Berry mit der Gleichgültigkeit anderen Hunden gegenüber vorbei, Durch das Erlebnis mit Aaron war er aufgewacht. Er war sehr schnell zu beeindrucken, Er war wie ein großer Welpe.
•• Eine Interessentin für Berry ••
Eines Tages kam eine Interessentin für Berry. Sie war mir auf Anhieb sympathisch. Berry zeigte sich sehr freundlich, und da ich sah, dass sie sich in den Hund verliebt hatte, erzählte ich ihr etwas von Berrys armen Vorleben. Ich hoffte, dass sie wiederkommen würde. Es war nicht leicht, ein passendes Zu Hause für Berry zu finden. Er brauchte verständnisvolle Menschen mit viel Einfühlungsvermögen und Hundeerfahrung.
Evelina, so hieß die Interessentin kam wieder, zusammen mit Stephan, Ihrem Mann. Er war schlank, groß, sportlich und unkonventionell. Er würde den Hund gut beherrschen können. Sie wollten Berry gerne übernehmen. Es war ihnen klar, dass Berry noch manches Problem mit sich bringen würde. Dann meldete ich mich zu einem Vorbesuch an. Das Paar wohnte ländlich in einem kleinen Ort bei Bamberg. Sie hatten eine reizende, pfiffige, mittelgroße Hündin aus dem Tierschutz. Minnie würde Berry eine Orientierung sein. Das schlichte Haus war von einer Mauer umgeben. Dass Berrys künftiges Herrchen selbständig tätig war und von Zu Hause aus arbeitete, war ideal, denn Berry war lange genug alleine gewesen. Nun sollte er auch Gesellschaft haben. Er hatte viel nachzuholen.
Das Umfeld und die Lebensbedingungen konnten nicht besser sein. Das war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte. Als wir noch einen Spaziergang machten, bückte sich Stephan, um einen Käfer, der vor ihm krabbelte, an den Wegrand zu setzten. Die kleine Geste gefiel mir, zeigte sie doch, dass dieser Mann viel Sensibilität hatte, die er sicher für einen Hund wie Berry brauchen würde.
Berry war drei Monate im Tierheim gewesen.. Er war aufgepäppelt, tierärztlich versorgt und war bereit für sein neues Leben. Die Mitarbeiter des Tierheims wünschten Berry noch viel Glück, und an einem herrlichen Junitag machte ich mich mit Ihm auf den Weg in sein neues Zuhause. Ich war so aufgeregt. Ich Konnte das Glück kaum fassen. Endlich ein schönes Hundeleben für Berry. Wir hatten über eine Stunde Fahrt vor uns. Das Fahrtraining hatte sich ausgezahlt. Wir wurden erwartet, und die Freude war auf beiden Seiten groß. Evelina und Stephan waren schon regelmäßig ins Tierheim gekommen, um mit Ihrem künftigen Hund spazieren zu gehen. Die reizende Hündin Minnie begutachtete Berry zunächst sehr kritisch und ließ ihn nach Hündinnen Art deutlich wissen, dass dies ihr Reich war. Berry war sehr aufgeregt. Wir rüsteten Berry noch mit einem GPS-Gerät aus, falls er in seine frühere Unart zurückfallen und fortlaufen würde und erledigten die Formalitäten. Dann schlich ich mich leise davon. Berry sollte das gar nicht mitbekommen.
Berry hieß jetzt Leo, und sein neues Leben würde noch Seiten füllen. Er lief nicht mehr davon, denn er hatte jetzt ein wunderbares Zu Hause. Dank Internet und Telefon, konnte ich dankbar an seinem weiteren Leben teilhaben. Jetzt zeigten sich doch körperliche Spätfolgen, die sein Zwingerdasein hinterlassen hatte. Es fehlten nicht nur die Muskeln, die Kondition, sondern auch die Erfahrung mit verschiedenen Untergründen, das Einschätzen von Entfernungen, wenn er z.B. über einen Graben springen wollte. Aber er hatte es so gut getroffen. Man gab ihm Zeit, und er lernte und genoss zusehends seine langen Spaziergänge.
Wenn man bedenkt, dass ein Menschenjahr sieben Hundejahre zählt, dann verblieben ihm noch 28 Hundejahre bei diesen liebevollen Menschen. Ich bin froh, dass Berry / Leo noch ein kleines Stück von einem guten Hundeleben vergönnt war und bin überaus dankbar dafür, dass das Schicksal mir damit meinen großen Wunsch erfüllt hat, den ich jahrelang gehegt hatte. Ein schöneres Happy End hätte ich mir nicht ausmalen können. Manchmal übertrifft die Wirklichkeit noch den Traum.