Ein Schäferhund-Schicksal
Eine anonyme Anzeige an den Tierschutz – nur ein Satz: „Deutscher Schäferhund lebt im dunklen Verschlag und geht nicht spazieren.“
Am 23. Dezember ging ich der Meldung nach, und mir wurde sofort klar, daß die Situation schlimmer war, als ich angenommen hatte. Der Besitzer, ein Bauer, war unfreundlich und unzugänglich, aber er erlaubte mir dann doch, „Cora“ – es war eine Hündin – außerhalb des Schuppens zusehen. Sie war eine hübsche Hündin in erschütterndem Zustand.
Die Nägel waren so lang, sie verrieten die mangelhafte Bewegung, daß sie vor Aufregung über ihre eigenen Pfoten stolperte. Sie begrüßte mich aufgeregt und wußte sich vor Freude kaum zu fassen, sich endlich zu bewegen und Menschen um sich zu haben. Als sie wieder in ihren Schuppen zurück mußte, sah ich, daß die Wände mit Wellblech abgedichtet waren. So nahm man ihr die Sicht und isolierte Geräusche. Wegen der Nachbarn wollte man einen Wachhund, der nicht bellte.
In den wenigen Minuten, die ich sie im Arm hatte, wurde mir ihre ganze Not bewußt. Ich mußte ihr helfen. Sie hatte vorher einen anderen Besitzer gehabt und schien bessere Tage gesehen zu haben, sie war jetzt etwa vier Jahre alt. Es lohnte sich, um sie zu kämpfen.
Ich bemühte mich, das Vertrauen des Bauern und seiner Familie zu gewinnen. Mir ging die Hündin nicht mehr aus dem Kopf. Ich versuchte mit allen Mitteln, ihnen „Cora“ abzuhandeln, aber ich bekam ein glattes „Nein“ zur Antwort. Sie war reinrassig, und man wollte auch gerne mit ihr züchten.
Ich bekam die Gelegenheit, Cora einem Tierarzt vorzustellen, der die Knochenfütterung untersagte und mir bescheinigte, daß der Hund dringend Bewegung, Futterumstellung und Pflege braucht. – Erst sah alles so hoffnungslos aus – aber nun, bei der Aussicht, Geld für einen Hund auszugeben und Arbeit zu haben, für einen nutzlosen, kranken Hund gelang es mir endlich, den Hund heraus zu handeln.
Als ich die Hündin fortführte und zum Auto ging, konnte ich mein Glück gar nicht fassen. Sie sprang sofort in mein Auto und saß ganz aufgeregt wie eine Königin hinter rnir. Ich hatte das Gefühl, selbst dem Gefängnis entkommen zu sein. Wir konnten es beide nicht erwarten, hinaus in die Wiesen zu kommen, die sie so lange entbehrt hatte, und ich genoß den Anblick ihrer Lebensfreude. Durch meine häufigen Besuche kannte sie mich schon gut. Wir waren Freunde.
Nun brachte ich sie ins Tierheim Forchheim, bis ich für sie die richtigen Leute gefunden hatte. Wie gerne hätte ich sie selbst behalten. Aber schließlich haben wir schon drei Hunde. Cora stürzte sich im Tierheim gierig über alles Freßbare, sie war ausgehungert. Ich wußte, in diesem Tierheim war sie in guter Hut, und sie wurde liebevoll gepflegt.
Ich ging, so oft es möglich war, mit ihr spazieren und hatte meine helle Freude an ihrer aufmerksamen Art und ihrem Temperament. Ich konnte mich eines Glücksgefühles nicht erwehren. Es hatte sich gelohnt – endlich frei. Es ließ mir keine Ruhe, zu erfahren, wer der Vorbesitzer gewesen war. Aufgrund der Tätowierungsnummer hatte ich ihn bald gefunden – ein Hundesportler. Er hatte sich mit einer anderen Hündin getröstet. Cora war aufgewachsen mit Familienanschluß, stets auf dem Hundeplatz und der ganze Stolz des Besitzers. Sie lernte schnell, hatte ein Bombentemperament, eine gute Abstammung. Sicher war sie auch als Zuchthündin geeignet.
Mit l4 Monaten wurde sie geröntgt. HD – „Hüftgelenksdysplasie“. Mit einem Schlag alles zunichte. Aus – keine Hürden springen, keine Prüfungen, kein Züchten – Pflege, Rücksicht, kurzum ein wertloser Hund. Eben noch der ganze Stolz, jetzt für ein paar Mark weggegeben in unkundige Hände. An einen Bauern, der nur einen Hund haben wollte, weil schon immer einer auf dem Hof war, der sie in den Schuppen sperrte, weil niemand Zeit hatte und mit ihr umzugehen wußte.
Nun wußte ich, woher sie einen so vorzüglichen Gehorsam hatte. Sie hatte nichts vergessen und erinnerte sich an jedes Kommando. Was muß sie in den fast drei Jahren an dem Mangel der Zuwendung und Bewegung gelitten haben. Welch ein Wunder, daß sie sich ihre Freundlichkeit bewahrt hatte. Nach vier Wochen fand ich die Familie für Cora, die ihr alles an Zuwendung und Pflege gab, worauf sie so lange gewartet hatte. Sie kam in intensive tierärztliche Behandlung, und jetzt zeigte sich erst, wie groß die gesundheitlichen Schäden waren, die auf den Mangel an Luft, Licht, Sonne und der stetigen Knochenfütterung zurückzuführen waren. Ihre „HD“ war schlimm, schlimmer war ihre Magen-Darm-Erkrankung. Der ganze Körper hatte gelitten.
Ostern sah ich Cora noch einmal. Ihre Familie liebte sie sehr, und man sah es ihr an. Sie war noch immer unendlich mager, aber das Fell glänzte. Der ganze Hund strahlte. Die Augen flackerten nicht mehr. Die anfängliche Nervosität hatte sich gelegt – sie war zu Hause.
Einige Tage später erhielt ich einen Anruf, der mich zutiefst traf. „Cora ist nicht mehr.“ Die Magen-Darm-Erkrankung wurde ihr, trotz aller Pflege zum Verhängnis, nicht ihre „HD“. Wenn ich nun an dem alten Bauernhaus vorbeifahre, mit dem Holzverschlag in der Hofeinfahrt, dann denke ich voller Trauer: soviel Einsatz – soviel Glück – und doch zu spät.