Titel

Ein starkes Team!

Als ich im Frühjahr vor drei Jahren davon erfuhr, dass in einem benachbarten Tierheim ein Schäferhundwelpe abgegeben worden war, gab ich an zwei Wochenenden eine Anzeige in der Tageszeitung, Rubrik „Tiermarkt“, auf. Mein Ziel war es, schnell ein neues Zuhause für ihn zu finden. In der Regel ist so eine Annonce hilfreich, um insbesondere Welpen schneller zu vermitteln, aber diesmal hatte ich kein Glück. Bei einem Tierheimbesuch sah ich den inzwischen fast vier Monate alten Hund noch immer alleine im Zwinger sitzen. Der junge Rüde war unsicher und verhielt sich Hunden gegenüber aggressiv. Eine unbedachte Anschaffung. Er war zu früh von der Mutter getrennt worden und fand sich plötzlich alleine unter all den fremden Artgenossen wieder. Das Bellen ringsum machte ihm Angst. Kein Wunder, dass er sich nicht gut zeigte.

Schonende Zusammenführung

Die Zeit des niedlichsten Aussehens war fast vorbei, in der heimatlose Hunde die größte Chance haben, ein gutes Zuhause zu finden. So entschloss ich mich spontan, Lasco, so hieß er, mit nach Hause zu nehmen – zu unseren vier gut sozialisierten Hunden. Sie würden ihm vermutlich helfen können, seine Unsicherheit abzubauen und seine Chancen erhöhen, passende Menschen zu finden. Dabei setzte ich besonders auf Aaron, unseren Hovawart, der zwar etwas grob, aber nervenstark und folgsam ist. Von ihm würde er viel lernen können. Zu Hause angekommen, machte ich Lasco auf einem kurzen Spaziergang mit jedem unserer Hunde einzeln bekannt. Clara, unsere Molosser- Hündin, und Stella, eine mittelgroße Mischlingshündin, waren sehr reserviert. Sie ließen den jungen Schäferhund deutlich spüren, dass sie schon altershalber kein Interesse an ihm als Jungspund hatten. Ganz anders Cilly, unsere kleine Collie-Mischlingshündin. Mit ihren damals fünf Jahren freute sie sich über einen Spielgefährten. Auch Lasco verliebte sich gleich in sie. Aaron dagegen begriff sofort, dass dieser kleine Bursche, der so gar nicht bescheiden und unterwürifg war, seine Führung benötigte. Meine Rechnung ging auf: Lasco orientierte sich besonders an Aaron. Seine anfängliche Aggression verlor sich mehr und mehr. Nur wenn Aaron apportierte, brach sie wieder durch. Der junge Schäferhund war eifersüchtig. Kein Wunder: Die beiden hatten die gleichen Interessen. Lasco lernte schnell, und Schäferhund typisch war er sehr folgsam und anhänglich. Ich ging mit ihm in die Hundeschule, um ihm die Gelegenheit zu geben, weitere Vierbeiner kennen zu lernen. Denn seine Angst vor fremden Hunden hatte bis dahin immer noch tief gesessen.

Bewährungsprobe am See

lm April hatte ich Lasco aus dem Tierheim geholt. Mittlerweile war es Sommer geworden. Zeit, um ihn mit dem Element Wasser bekannt zu machen. Es dauerte nicht lange, dann schwamm er mit mir und Aaron in einen Baggersee hinaus, zu dem ich regelmäßig mit unseren Hunden fuhr. Nicht nur Lasco war begeistert! An einem herrlichen Tag kam ich mit Aaron und unserem Zögling wieder an den Baggersee. Es war viel los. Deshalb ging ich mit meinen beiden ,,kapitalen“ Hunden an jene steile Uferseite, die weniger besucht wird, und lagerte mit ihnen in einer kleinen Bucht. An jenem Tag hatte ich etwas Besonderes vor: Ich band mir die Hundeleine um den Bauch und startete mit Aaron und Lasco einen Ausflug durch den See auf die gegenüberliegende Seite. Die beiden schwammen neben mir und um mich herum, da sie schneller waren als ich. Aaron wusste, dass er nicht vor mir am anderen Ufer ankommen durfte, denn auf dieser Uferseite gab es immer viele freilaufende Hunde. Als wir am anderen „Strand“ ankamen, machte ich beide Hunde an den Karabinerhaken fest. Wir statteten einer Hundefreundin mit ihrem kleinen Pinscher einen Besuch ab und ließen uns auf ihrer Decke zum Plaudern nieder – inmitten der vielen Ausflügler. Eine gute Übung für Lasco. Während dessen war eine Frau am anderen Ende des Sees mit ihren beiden Australian Shepherds den Hang herunter gekommen, was Aaron nicht entging. Zu gerne hätte er die Artgenossen näher begutachtet.

Plötzliches Durchstarten

Nach einiger Zeit rüsteten wir uns für die „Rückreise“. Ich ging mit den Rüden zum Wasser und löste die Karabiner. Ich muss wohl so ein sicheres Gefühl bezüglich meiner gut erzogenen Hunde gehabt haben, dass ich nicht aufmerksam genug war. Ich achtete ohnehin mehr auf Lasco, und die beiden „Aussis“ hatte ich längst vergessen. lm Gegensatz zu Aaron, der in dem Moment durchstartete, um die beiden kennen zu lernen. Schon war er in der Menge der lagernden Menschen verschwunden! Er hatte wohl die ganze Zeit auf den Moment gewartet. Ich war sprachlos. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte ich ihm nachlaufen, um ihn zurückzuholen. Aber nein, er war kein Raufer, er kannte sich hier aus. Es gab keine Autos, es konnte nichts passieren. Wir würden nicht auf den Abtrünnigen warten. Aaron wusste ja, wo er uns finden würde.

Lektion für den Abtrünnigen

Lasco schwamm brav mit mir zurück. Als wir in der Mitte des Sees waren, hörten wir ein lautes Platschen. Das war Aaron, der ins Wasser gesprungen war, und der nun rasch näher kam. Er wusste: Zurück am Ufer würde es einen Brunch geben, und das wollte er nicht verpassen. Aaron schwamm zügig. Ich hörte schon sein schnaufen, und dann zog er an uns vorbei, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Man würde sich ja ohnehin gleich wiedersehen. Nach dem Motto: „Bis gleich beim Picknick!“ Lasco schwamm unbeeindruckt neben mir und umkreiste mich, ohne mich aus den Augen zu lassen, typisch Schäferhund.

Na warte! Als Aaron an uns vorbei gezogen war, machten wir ihm einen Strich durch die Rechnung. Wir schlugen einen Haken von 90 Grad und steuerten vom Hovawart unbemerkt ein seitliches Ufer an. Ich hatte aus dem Augenwinkel beobachtet wie Aaron an unserem Lagerplatz aus dem Wasser stieg und sich schüttelte. Als er sich nach uns umsah, waren wir verschwunden! Dichte Büsche versperrten ihm die Sicht. Lasco und ich gingen an Land und mischten uns dort unter die Badegäste. Ich beobachtete Aaron und sah, wie er nach kurzer Zeit wieder ans Wasser ging und nach uns Ausschau hielt. Seine Haltung verriet Ratlosigkeit. Ich wusste, er würde unseren Rastplatz nicht verlassen. Wir ließen ihn noch einige Zeit zappeln, bis wir dann über einen Schleichweg zu ihm zurückgingen, und seinem Warten ein Ende setzten.

Ich kam nicht umhin, Aaron zu bewundern. Erstaunlich, wie er die Zeit abgeschätzt hatte, die er beim schwimmen brauchen würde, um (normalerweise) mit uns zusammen am Ufer anzukommen. Das Vorausdenken war typisch für den eigenwilligen Hovawart. lm Gegensatz zu Lasco, dem Schäferhund, der seinen Menschen nicht aus den Augen lässt geschweige denn sich von ihm entfernt.

Schutztrieb unverkennbar

Nun war Lasco schon drei Monate bei uns: er war gewachsen und ein hübscher, sehr temperamentvoller Junghund geworden. Er hatte gelernt, Autos, Jogger und Radfahrer passieren zu lassen. Als Fahrgast im Auto war er noch nicht so perfekt aber das würde schon werden. Nun wird sich mancher Leser fragen: Hat Frau Esser den Hund wohl behalten? Nein, das war leider nicht möglich Der starke Schutztrieb des Schäferhundes machte sich bei Lasco schon im Jugendalter bemerkbar. Aaron und Lasco stachelten sich gegenseitig dabei an und die Haltung von fünf Hunden war auf Dauer nicht tragbar. Ich hatte längst begonnen, über Internet und Zeitung nach einem passenden Zuhause fur ihn zu suchen. Lasco war jetzt ein „gebildeter Hund“ und konnte theoretisch „eine gute Partie machen“.

Der richtige Platz für Lasco?

Eines Tages meldete sich ein lnteressent aus Münster. Er hatte zwar schon einen älteren Schäferhund, aber darin sah ich kein Problem. Die große Entfernung schreckte mich mehr. Aber dann stand dieser Mann vormittags plötzlich vor unserer Tür. Mein Mann nahm zum Glück am Vermittlungsgespräch teil. Ich war froh, mit der Entscheidung nicht alleine zu sein. Der Interessent hatte gehofft, den Hund gleich mitnehmen zu dürfen. Es hörte sich zwar alles gut an. Mein Herz krampfte sich trotzdem zusammen. Den Hund fortzugeben, war schon schlimm genug, aber die Angst, eine falsche Wahl zu treffen, schnürte mir die Kehle zu. Schlimmstenfalls hätte mein ganzes Handeln keinen Sinn gehabt. Schließlich vereinbarten wir, ihm den Hund zu bringen. Drei Tage später starteten wir mit fünf Hunden in unserem Kombi, nachdem wir tags zuvor eine Probefahrt mi allen Vierbeinern gemacht hatten

Wir verabredeten, „Es wird sicher heute noch regnen“ zu sagen, falls einer von uns den Platz für Lasco nicht gut fände. Und dann war alles ganz anders als erwartet: angefangen bei der absolut städtischen Umgebung bis zum schlecht erzogenen Schäferhund. So fiel unser Code-Satz sehr schnell. Der Fall war klar, Lasco kam wieder mit zurück. Mit fünf Hunden ein Hotel zu finden, erwies sich auf der Rückreise allerdings als hoffnungslos. Also fuhren wir am Nachmittag wieder gen Heimat. In Kassel holte ich an der Raststätte noch für sieben „Personen“ Bockwurst mit Brötchen. Die Hunde waren brav und zufrieden und schliefen weiter, bis wir um 11 Uhr wieder zu Hause waren. Seitdem ist Autofahren für Lasco kein Thema mehr! Nur eine Woche später kamen die passenden Menschen für Lasco. Ein Paar ohne Kinder, beruflich selbständig, hundeerfahren, 100 Kilometer entfernt. Sie mieteten sich für ein Wochenende ein, um das gegenseitige Kennenlernen zu erleichtern und nahmen Lasco schließlich mit. Ein Vorbesuch unsererseits hatte schon stattgefunden. Die Umstellung gelang gut, schließlich hatte Lasco jetzt Herrchen und Frauchen für sich und zuzüglich einige Vorteile gegenüber der Rudelhaltung. Er war nicht mehr das fünfte Rad am Wagen.

Stürmisches Wiedersehen

Nach einem Jahr besuchte ich mit Aaron Lasco in dessen neuem Zuhause. Die Freude war groß. Wir machten alle zusammen einen Spaziergang. Ich ging mit Aaron voraus, damit die Hunde sich draußen begegnen konnten. Aaron war bei der Begrüßung etwas grob, aber das kannte Lasco ja von ihm. Außerdem war dieser mittlerweile ausgewachsen. In einem Teich nahmen die beiden gemeinsam ein Bad. Als sie dann zusammen über die Wiese tobten, sah man ganz deutlich, dass Aaron Lasco das ,,Du“ angeboten hatte. Ich gab Lasco keine Kommandos mehr. Er hatte jetzt seine eigenen Leute. Als wir in die Nahe einer Straße kamen, signalisierte ich mit einemTrillerpfiff Aaron das Platz. Er lief etwas weiter vor mir, dann blieb er stehen, und drehte sich um, um zu fragen, ob das jetzt wirklich notwendig sei. Eigentlich ließ ich ihn sonst nämlich per Hundepfeifen Platz machen, wenn Radfahrer, Jogger oder Hunde kommen. Straßen queren wir zu Hause so gut wie gar nicht. Seine Frage war berechtigt. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Lasco, der mit seinen Leuten hinter mir gelaufen war, im „Platz“ lag und nun auf dieAufhebung des Kommandos wartete. Er hatte sich an das bei mir Gelernte erinnert und sich ohne „Rückfrage“ beim Trillerpfiff sofort hingeworfen, ohne viel zu fragen. Eben typisch Schäferhund.

Selbst heimatlos gewesen

Ich denke. Aaron und Lasco haben in dieser gemeinsamen Zeit sehr voneinander profitiert und konnten ihre rassetypischen Talente einbringen. Sich auf andere Menschen und Gegebenheiten einstellen zu müssen, das kannte Aaron übrigens aus eigener Erfahrung: Er war mit zweieinhalb Jahren zum Scheidungswaisen geworden und hatte plötzlich sein für alle Zeiten sicher geglaubtes Zuhause in Norddeutschland verloren. Kerls, seine Züchter, hatten ihn damals zurückgenommen und mir anvertraut. Ihre damaligen Hündinnen Alma (Aarons Mutter) und Atlanta brachten Aaron in den Tagen bis zu seiner Abholung auf andere Gedanken. Wie das Leben manchmal so spielt: Jetzt hatte mein souveräner Hovawart als gutes Vorbild für Lasco selbst Anteil an einem Happyend auf vier Pfoten gehabt…

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